Donnerstag, 25. Juli 2013

4.7.13
Jubiläumsfeier des Buchladens um die Ecke.
Es ist sehr heiß und ich bin zehn Minuten zu spät, aber es hat noch nicht angefangen. Draußen vor der Tür sitzen einige Raucher und rauchen. Drinnen gibt es Wein aus Plastikbechern, dazu eingelegte Oliven und Knusperbrezeln. Der Spanier gießt mir ein und erzählt, dass er aus der Gegend von Valencia kommt und schon über sieben Jahre in Berlin wohnt, zunächst im Prenzlauer Berg, dann in Neukölln, dann in Kreuzberg, in Friedrichshain und jetzt wieder in Neukölln. „Iss fülle miss ssehr woll hier und mösste hier bleiben“, dabei reibt er sich die Hände und lächelt.
Das Konzert beginnt. Eine tätowierte Italienerin singt Lieder von George Gershwin und Gianna Nannini. Ihr Freund begleitet sie auf der Gitarre. Die Tür des Ladens steht weit offen und draußen bildet sich eine kleine Zuhörermenge, sogar einige Leute erscheinen an den Fenstern der umliegenden Häuser.
Nach dem vierten Lied wird der Applaus schwächer und ich beginne mich zu langweilen. Während die Italienerin nun zum Blues übergeht, gehe ich in den Nebenraum und betrachte die Bücherregale: Dostojewski, Konsalik, Focault, Paul Auster. Ich ziehe ein Buch von ihm aus dem Regal, da ertönt hinter mir eine Stimme: „Gehören Sie auch zu den Leuten, die diesen Laden mit gebrauchten Büchern austatten?“ Ein korpulenter Mann in kurzen Hosen und schwarzem Burberryhemd steht dort, er war mir unter den Besuchern garnicht aufgefallen. Er lacht laut auf und fährt fort: „Ich bin überrascht, dass es in Neukölln überhaupt Kultur gibt. Wissen Sie, eigentlich finde ich Berlin ganz furchtbar, eine so hässliche Stadt! Alles gewollt und nichts gelungen. Florenz oder Venedig, das sind Städte! Oder mein persönlicher Favorit: Palermo! Das ist eine Stadt mit Kultur, wissen Sie, und dazu ein Klima, in der eine Palme sehr gut wächst. Dort werde ich meinen Lebensabend verbringen, wenn ich nächstes Jahr in den Ruhestand trete. Vielleicht in einem schönen Palais. Kennen Sie Palermo?“ Ich schüttele den Kopf. „Sie sehen wie ein kultureller Mensch aus, kommen Sie mich doch mal besuchen. Dann sprechen wir über die wirklich schönen Städte dieses Kontinents.“ Er lacht ein zweites Mal und reicht mir seine Karte: 'Dr. Gunthard Frese - Kunsthistoriker und Archivar' steht dort. Ich bemerke die zerbrochene Armbanduhr an seinem Handgelenk. „Besuchen Sie mich, es wäre mir eine Freude!“
Die Italienerin hat gerade ihr letztes Lied gesungen und nimmt sich einen Becher Rotwein. In meiner linken Hand halte ich noch immer das Buch, stelle es zurück an seinen Platz im Regal. „Besuchen Sie mich, in meine es ernst.“ Ich nicke nur zum Abschied und werfe dem Spanier einen Blick zu, er winkt mir und ich trete aus dem Buchladen hinaus auf die Straße.

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